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Titel
Geldpolitik im Umbruch. Die Zentralbanken Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren


Autor(en)
Krauss, Clemens
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte (128)
Erschienen
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Kemmerer, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Inflationsraten auf langjährigen Höchstständen, explodierende Energiepreise, ökonomische Instabilität – seit Beginn der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs rufen diese Phänomene vielfach Vergleiche mit den 1970er-Jahren hervor. Vor allem die Geldpolitik rückt so erneut in den Fokus des Interesses.1 Clemens Krauss‘ Dissertation, entstanden an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Cotutelle mit der Sorbonne Université Paris, erscheint daher zu einem überaus günstigen Zeitpunkt.

Krauss fragt danach, wie in den 1970er-Jahren die Deutsche Bundesbank und die Banque de France Veränderungen der globalen Währungsstruktur wahrnahmen und darauf reagierten, wie sie das internationale Währungs- und Finanzgefüge beeinflussten und wie schließlich die internationalen Vorgänge auf sie selbst und ihr Handeln zurückwirkten. Sein Erkenntnisinteresse gilt der systematischen Untersuchung der Geld- und Kreditpolitik beider Notenbanken – mit dem Ziel, die Zentralbankpolitik der 1970er-Jahre sowie ihren Einfluss auf wirtschafts- und währungspolitischen Wandel und Fortschritt zu erklären und zu interpretieren. Neben einem Überblickskapitel, das die Entwicklungen der Bundesbank und der Banque de France von der Zwischenkriegszeit bis ca. 1970 umreißt, periodisieren drei weitere Hauptkapitel den eigentlichen Untersuchungszeitraum: die Endphase des Bretton-Woods-Systems seit den späten 1960er-Jahren, die unmittelbaren Auswirkungen der ersten Ölpreiskrise 1973/1974 sowie, beginnend mit dem Werner-Plan von 1970, die Vorgeschichte und Etablierung des Europäischen Währungssystems (EWS) 1978/1979.

Das erste Kapitel schildert knapp, wie die Verwerfungen der Zwischenkriegszeit beide Zentralbanken seit den 1950er-Jahren prägten: Während die Bank deutscher Länder bzw. die Bundesbank ein Primat der inneren Geldwertstabilität verfolgte, fokussierte sich die Banque de France auf einen stabilen Außenwert des Franc, also die Wechselkursverhältnisse. Die Banque wurde zugleich durch den Staat eingespannt, um die Kreditvergabe an Unternehmen zu steuern. Diesem im Vergleich zur Bundesbank umfassenderen Mandat konnte die Banque wiederum nur entsprechen, weil das französische Bankwesen seit dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verstaatlicht war. Die Bundesrepublik verfolgte dagegen einen ordnungspolitisch liberalen Ansatz, der die Eigenverantwortung der Banken in der Marktwirtschaft betonte. Der chronologische Überblick erleichtert zumal einer breiteren deutschsprachigen Leserschaft den Einstieg in die Thematik, dürfte jedoch für Spezialisten wenig neue Erkenntnisse liefern. Krauss‘ Verdienst besteht indes darin, die umfassende französische finanzhistorische Forschung, die in Deutschland bisher kaum wahrgenommen wurde, auf engem Raum zu dokumentieren.

Im zweiten Kapitel legt Krauss souverän und quellennah die komplexe Wechselwirkung innen-, außen- und europapolitischer Aspekte im Handeln beider Zentralbanken dar. Er ergänzt so maßgeblich die einschlägigen diplomatiehistorischen Arbeiten von William Glenn Gray.2 Krauss kann aufzeigen, dass hochrangige Notenbanker ihre Positionen in der Endphase des Bretton-Woods-Systems ständig überdachten und revidierten, nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit der Politik ihrer Regierungen. Die innere Zerrissenheit des Zentralbankrats, ob man zu freien Wechselkursen übergehen oder Kapitalkontrollen einführen sollte, wurde noch nie derart nuanciert geschildert.

Das dritte Kapitel verdeutlicht, dass die Geldpolitiken beider Notenbanken (und ihre Volten) weniger mit unterschiedlichen Ideologien oder Grundüberzeugungen zu erklären waren, sondern letztlich je nationale, nur schwer reformierbare Wirtschaftsstrukturen widerspiegelten: Die Banque de France laborierte nach der ersten Ölpreiskrise durchgehend daran, dass sie währungspolitische Symptome lediglich kurieren, nicht aber die Wirtschaftsstruktur Frankreichs derart umwälzen konnte, dass dessen chronisches Zahlungsbilanzungleichgewicht verschwand. Der Fokus der Banque auf möglichst günstigen Wechselkursverhältnissen und Konjunkturförderung begründete sich darin, dass Frankreich keine strukturellen Leistungsbilanzüberschüsse wie die Bundesrepublik zu erwirtschaften vermochte, die Banque zugleich aber die inländische Kredit- bzw. Geldversorgung nicht einschränken sollte. Die Inflation blieb deshalb vergleichsweise hoch. Umgekehrt mag, so meine Deutung, der stabilitätspolitische Erfolg der Bundesbank weniger in den restriktiven Maßnahmen der unabhängigen Notenbank denn in den überaus anpassungsfähigen deutschen Unternehmen begründet gewesen sein: Deren wachsende Exportorientierung in den 1970er-Jahren veranlasste die deutschen Geschäftsbanken, langfristigen Kapitalexport zu betreiben, um die Investitionsgüterausfuhr zu finanzieren. Das westdeutsche Problem kurzfristigen Kapitalimports der späten 1960er-Jahre, das die inländische Inflation getrieben hatte, löste sich so sukzessive auf.

Im vierten Kapitel zeichnet Krauss die verschlungene Entstehung des Europäischen Währungssystems bis 1978/79 detailliert nach. Auch hier besticht er mit großer Quellenkenntnis – insbesondere der französischen Archive – und schließt so an die Befunde von Emmanuel Mourlon-Druol und Harold James an.3 Deutlich wird, dass die Bundesbank und die Banque de France ursprünglich keineswegs völlig konträre Vorstellungen über eine europäische Währungsunion hatten; diese wurde von beiden Zentralbanken sogar durchaus begrüßt. Die zunehmende Verhärtung der Verhandlungspositionen (Krönungs- vs. Lokomotivtheorie) – die erst die Politik unter Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing auflösen konnte – resultierte daraus, dass beide Notenbanken versuchten, strikt gemäß ihrer Mandate zu handeln, sich deshalb aber vorwiegend auf inländische Probleme kaprizierten und gegenseitige Zugeständnisse einforderten.

Gerade aus wirtschaftshistorischer Perspektive wäre es reizvoll gewesen, auf Basis der unterschiedlichen Ausgangslagen der Notenbanken eine analytisch schärfere, zentralbanktheoretisch inspirierte Problemorientierung zu entwickeln. Wie sich das Handeln der französischen und deutschen Notenbanken konkret auf die eigentlichen Adressaten ihrer Politik auswirkte – die Banken und die Realwirtschaft – und wie diese auf geldpolitische Veränderungen reagierten, deutet Krauss oft lediglich an. Die von ihm herangezogenen zeithistorischen Methoden des Vergleichs (histoire comparée) und der Verflechtung (histoire croisée) erlauben es nur bedingt, die beiden Zentralbanken als Akteure zu erschließen und ihre geldpolitischen Handlungsspielräume auszuleuchten. Ferner ermöglichte das rasche Wachstum der internationalen Finanzmärkte gerade den deutschen Banken, sich günstig auf dem internationalen Interbankenmarkt zu refinanzieren. Dadurch minderte sich indirekt der Druck auf die Bundesbank, ihre Liquiditätspolitik im Inland zu verschärfen. Die eigentliche Sorge der Bundesbank bestand in der Folge auch mehr darin, dass die D-Mark eine internationale Reserve- und Anlagewährung werden könnte. Dies wäre mit für die Bundesbank (und Bundesrepublik) unwägbaren Verpflichtungen einhergegangen, im Krisenfall das Weltfinanzsystem zu (re-)stabilisieren – dieses Problem bestand für die Banque de France bzw. den Franc zu keinem Zeitpunkt. Doch gerade jene internationalen Determinanten der Geldpolitik, die ihre Ursachen besonders in den Schwächen des US-Dollars und des britischen Pfunds hatten, führt Krauss nicht näher aus. Auch die Rolle beider Notenbanken in den internationalen Gremien (IWF, BIZ, OECD) kommt eher selten zum Ausdruck. Schließlich wäre die vorgebliche Einzigartigkeit (S. 358) der Bundesbank zumindest insoweit zu relativieren, als die Schweiz und die Benelux-Länder ähnlich stabile Inflationsraten wie die Bundesrepublik aufweisen konnten.

Erstaunlich ist überdies, dass die Theoriegeschichte des Monetarismus, ja seine notenbankinterne Rezeption, Wirkung und Bedeutung bei Krauss kaum Erwähnung finden. Das ist für seine Argumentation aber auch nicht unbedingt erforderlich: Die jüngere Forschung zur Entwicklung der ökonomischen Theorie behauptet sogar, die Bundesbank habe ihre monetaristische Wende weniger aufgrund neu gewonnener Einsichten in die Überlegenheit der Ideen Milton Friedmans oder seiner Anhänger vollzogen.4 Vielmehr, so die Theoriegeschichte, versuchte die Bundesbank pragmatisch, konkrete Probleme zu lösen, für die sich ihre hergebrachten geldpolitischen Instrumente (neben der Refinanzierungs- bzw. Diskontpolitik vor allem die Mindestreservepolitik) offenkundig nicht mehr eigneten. Und zu diesem Befund kommt letztlich auch Krauss auf Basis seiner überaus gründlichen Quellenexegese. Der relative Erfolg der Bundesbank in der Inflationsbekämpfung ließ sich ex post öffentlichkeitswirksam mit der 1973/74 eingeführten Geldmengensteuerung begründen, die bald auch die Banque de France übernahm. In der Folge musste die Bundesbank ein Konzept, dessen Erfolgsbilanz nach Krauss im Zentralbankrat allerdings durchweg umstritten war, nach außen als handlungsleitend verkaufen, um ihr Gesicht zu wahren. Bei genauerer Betrachtung stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern der eigentliche Erfolg der Währungshüter eher darin bestand, das eigene Handeln neu zu labeln und zu legitimieren, um die eigene Unabhängigkeit begründen zu können.

Insgesamt liefert Krauss eine quellengesättigte ländervergleichende Studie, die auch komplexe geld- und währungspolitische Problemlagen einem größeren Publikum überaus verständlich aufbereitet. Zahlreiche Zwischenfazits tragen zu einer guten Lesbarkeit bei. Damit leistet Krauss einen wichtigen Beitrag zur politischen Geschichte des Zentralbankwesens, dem eine große Leserschaft auch jenseits der Geschichtswissenschaft zu wünschen ist.

Anmerkungen:
1 Siehe jetzt das Themenheft „Geldpolitik“ von Aus Politik und Zeitgeschichte 72 (2022), Nr. 18–19, 2.5.2022.
2 Als Synthese in Kürze William G. Gray, Trading Power. Germany’s Rise to Global Influence, 1963–1975 (i. E.).
3 Emmanuel Mourlon-Druol, A Europe Made of Money. The Emergence of the European Monetary System, Ithaca 2012; Harold James, Making the European Monetary Union. The Role of the Committee of Central Bank Governors and the Origins of the European Central Bank, Cambridge, Mass. 2012.
4 Siehe die Beiträge von Hauke Janssen und Peter Spahn in Harald Hagemann (Hrsg.), German Influences on American Economic Thought and American Influences on German Economic Thought / Deutsche Einflüsse auf amerikanisches wirtschaftswissenschaftliches Denken und amerikanische Einflüsse auf deutsches Wirtschaftsdenken, Berlin 2017.

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